Erfurt. Das Landesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes in Thüringen wächst auf 20 Einträge. Vier neue Nominierungen gibt es für die Bundesliste.

Thüringen hat zwar kein Erdöl, dafür aber jede Menge kulturelle Tradition. So könnte es etwas frei interpretiert als Motto über dem Landesverzeichnis für das Immaterielle Kulturerbe stehen. Seit Generationen wird hierzulande geforscht, gefeiert und musiziert, werden spezielle Bräuche und Handwerk gepflegt sowie Wissen und Können an Nachgeborene weitergeben. Ein Übereinkommen der Unesco fördert seit gut 20 Jahren die Sichtbarkeit und Weiterentwicklung dieses lebendigen Erbes, beispielsweise durch die internationalen Unesco-Listen zum Immateriellen Kulturerbe oder über Einträge in das bundesweite Verzeichnis in Deutschland.

Weil die Aufnahme schwer ist, förderungswürdige regionale Inititiativen aber zeitnah unterstützt werden sollen, führt Thüringen seit 2022 ein eigenes Landesverzeichnis. Elf Einträge waren es bislang, darunter der „Eisenacher Sommergewinn“, der „weihnachtliche Fackelbrand zu Schweina“ sowie „Brehms Welt“ und „Fröbels Kindergartenidee“. Neun weitere Aktivitäten aus ganz Thüringen sind nun hinzugekommen. Erbepflege stifte Identität und stärke den Zusammenhalt, sagte Kulturstaatssekretärin Tina Beer (Linke) bei der feierlichen Aufnahmezeremonie am Donnerstag im Haus Dacheröden. „Wenn Menschen unser immaterielles Kulturerbe pflegen, halten sie nicht nur bedeutende Bräuche, Feste und Handwerkstechniken wach. Durch immaterielles Kulturerbe spüren Menschen immer wieder, was Heimat bedeutet“, so Beer.

Die Dahlientradition im Mittleren Elstertal/Bad Köstritz wurde in das Thüringer Landesverzeichnis des Immateriellen Welterbes aufgenommen. Auf Empfehlung der Landesjury schlägt das Land Thüringen sie als eine von vier Bewerbungen für das Bundesweite Verzeichnis vor. Im Bild zu sehen sind (von links) Kulturstaatssekretärin Tina Beer, Wolfgang Ritschel, Katrin Panzer, Dirk Panzer und Elisabeth Panzer, aktuelle Dahlienkönigin von Bad Köstritz. 
Die Dahlientradition im Mittleren Elstertal/Bad Köstritz wurde in das Thüringer Landesverzeichnis des Immateriellen Welterbes aufgenommen. Auf Empfehlung der Landesjury schlägt das Land Thüringen sie als eine von vier Bewerbungen für das Bundesweite Verzeichnis vor. Im Bild zu sehen sind (von links) Kulturstaatssekretärin Tina Beer, Wolfgang Ritschel, Katrin Panzer, Dirk Panzer und Elisabeth Panzer, aktuelle Dahlienkönigin von Bad Köstritz.  © Hanno Müller | Hanno Müller

Gewürdigt werden ganz unterschiedliche Inititativen und Bräuche. Die Dahlientradition im Mittleren Elstertal umfasst den Anbau und die Pflege der Blumen in der Region um Bad Köstritz. In der lokalen Kultur und Gartengestaltung spielen sie eine bedeutende Rolle. Nach Thüringen eingewandert waren sie vor gut 200 Jahren aus Mexiko. Beteiligt sind lokale Gärtner und Gartenbauvereine.

Die Deutsche Brettspielkultur (Brettspiele spielen), maßgeblich mitgepflegt in Altenburg,  wurde in das Thüringer Landesverzeichnis des Immateriellen Welterbes aufgenommen. Auf Empfehlung der Landesjury schlägt das Land Thüringen sie als eine von vier Bewerbungen für das Bundesweite Verzeichnis vor. Im Bild zu sehen sind (von links)
Christian Wallisch, Jennifer Kühnhold-Engel, Gabriele Orymek, Michael Schöne, Sarah-Ann Orymek, Dagmar de Cassan und Jens Junge. 
Die Deutsche Brettspielkultur (Brettspiele spielen), maßgeblich mitgepflegt in Altenburg,  wurde in das Thüringer Landesverzeichnis des Immateriellen Welterbes aufgenommen. Auf Empfehlung der Landesjury schlägt das Land Thüringen sie als eine von vier Bewerbungen für das Bundesweite Verzeichnis vor. Im Bild zu sehen sind (von links) Christian Wallisch, Jennifer Kühnhold-Engel, Gabriele Orymek, Michael Schöne, Sarah-Ann Orymek, Dagmar de Cassan und Jens Junge.  © Hanno Müller | Hanno Müller

Die deutsche Brettspielkultur habe in Altenburg eine wichtige Heimat und sei geprägt von einer Vielzahl traditioneller und moderner Spiele. Brettspielen fördere soziale Interaktionen, strategisches Denken und den Zusammenhalt innerhalb von Familien und Freundeskreisen. Akteure sind Spiel-Verlage und Brettspielvereinigungen wie der länderübergreifende Ali-Baba-Spieleclub sowie Veranstalter von Spieleabenden und -messen. Der wiederholte Antrag für die Aufnahme als immaterielles Kulturerbe wurde länderübergreifend gestellt.

Das Töpferhandwerk wurde in das Thüringer Landesverzeichnis des Immateriellen Welterbes aufgenommen. Auf Empfehlung der Landesjury schlägt das Land Thüringen die Tradition als eine von vier Bewerbungen für das Bundesweite Verzeichnis vor. Im Bild zu sehen sind (von links)
Kulturstaatssekretärin Tina Beer, Gernot Fritzsche, Angela Eck, Mechthild Schimmerling, Brit Heide und Christian Wolff.
Das Töpferhandwerk wurde in das Thüringer Landesverzeichnis des Immateriellen Welterbes aufgenommen. Auf Empfehlung der Landesjury schlägt das Land Thüringen die Tradition als eine von vier Bewerbungen für das Bundesweite Verzeichnis vor. Im Bild zu sehen sind (von links) Kulturstaatssekretärin Tina Beer, Gernot Fritzsche, Angela Eck, Mechthild Schimmerling, Brit Heide und Christian Wolff. © Hanno Müller | Hanno Müller

Auch für dem Thüringer Antrag zum Töpfer- und Keramikerhandwerk in Deutschland haben sich bundesweit mehrere Innungen zusammengeschlossen. Handgefertigte Ton- und Keramikprodukte hätten eine lange Tradition, Töpferinnen und Töpfer bildeten eine große Familie. Beteiligt sind Töpfer und Keramiker, Handwerkskammern und Ausbildungsstätten.

„Bau und Spiel der Waldzither in Thüringen und im Harz“ wurde in das Thüringer Landesverzeichnis des Immateriellen Welterbes aufgenommen. Auf Empfehlung der Landesjury schlägt das Land Thüringen die Tradition als eine von vier Bewerbungen für das Bundesweite Verzeichnis vor. Im Bild zu sehen sind (von links) Kulturstaatssekretärin Tina Beer, Tim Liebert (Doc Fritz) und Matthias Rost.
„Bau und Spiel der Waldzither in Thüringen und im Harz“ wurde in das Thüringer Landesverzeichnis des Immateriellen Welterbes aufgenommen. Auf Empfehlung der Landesjury schlägt das Land Thüringen die Tradition als eine von vier Bewerbungen für das Bundesweite Verzeichnis vor. Im Bild zu sehen sind (von links) Kulturstaatssekretärin Tina Beer, Tim Liebert (Doc Fritz) und Matthias Rost. © Hanno Müller | Hanno Müller

Um die Wiederbelebung des Spiels der traditionelle Waldzither geht es beim Projekt „Bau und Spiel der Waldzither in Thüringen und im Harz“. Initiativen dazu reichten gut 50 Jahre zurück. Instrumente würden wiederentdeckt, letztlich stehe de Spielpraxis im Vordergrund. Weil die traditionelle Form mit neun Stahlseiten jedoch für Kinder nur schwer zu handhaben sei, entwickele man neue einfachere Instumente, um den Nachwuchs nachhaltig zu begeistern.

Die „Flurnamenforschung in Thüringen“ wurde in das Thüringer Landesverzeichnis des Immateriellen Welterbes aufgenommen.  Im Bild zu sehen sind (von rechts) Barbara Aehnlich, Petra Kunze, Hans-Peter Schmit, David Brosius, Pauline Lörzer und Achim Fuchs.
Die „Flurnamenforschung in Thüringen“ wurde in das Thüringer Landesverzeichnis des Immateriellen Welterbes aufgenommen.  Im Bild zu sehen sind (von rechts) Barbara Aehnlich, Petra Kunze, Hans-Peter Schmit, David Brosius, Pauline Lörzer und Achim Fuchs. © Hanno Müller | Hanno Müller

Das Projekt „Flurnamenforschung in Thüringen“ unter maßgeblicher Beteiligung der Uni Jena und des Thüringer Heimatbundes untersucht historische Bezeichnungen von Landschaften, Feldern und Siedlungen. Beteiligt sind Historiker, Geographen und lokale Geschichtsvereine. Mit Unterstützung der Staatskanzlei entsteht ein digitales Archiv im Internet. 80.000 Einträge können bereits abgerufen werden, weitere 40.000 warten darauf, eingepflegt zu werden.

Der Sütterlin-Klub im Eichsfeld wurde in das Thüringer Landesverzeichnis des Immateriellen Welterbes aufgenommen. Im Bild zu sehen sind (von links) Kulturstaatssekretärin Tina Beer, Siegbert Iseke, Wilhelm Heinevetter, Jutta Löffler, Maria Porrmann, Beate Obermann und  Eveline Seidenstücker.
Der Sütterlin-Klub im Eichsfeld wurde in das Thüringer Landesverzeichnis des Immateriellen Welterbes aufgenommen. Im Bild zu sehen sind (von links) Kulturstaatssekretärin Tina Beer, Siegbert Iseke, Wilhelm Heinevetter, Jutta Löffler, Maria Porrmann, Beate Obermann und  Eveline Seidenstücker. © Hanno Müller | Hanno Müller

Der Sütterlin-Klub im Eichsfeld widmet sich seit etwa zehn Jahren der Pflege und Vermittlung der alten deutschen Schreibschrift. Erfunden wurde sie 1911, um Kindern das Schreiben zu erleichtern, dann aber von den Nazis verboten. In vielen Familien, Kirchenarchiven, Katasterämtern und Museen finden sich alte Dokumente wie Urkunden, Briefe, Tagebücher und vieles mehr, die nicht mehr zugänglich wären, wenn das Wissen um die Handschrift verloren ginge. Die Mitglieder des Klubs übersetzen Texte und bieten Schriftkurse an. Das Interesse wachse stetig.

Die „Osterpfad Vogtland“ wurde in das Thüringer Landesverzeichnis des Immateriellen Welterbes aufgenommen. Im Bild zu sehen sind (von links)
Grit Reinhardt, Petra Birnbaum, Christel Bärenklau und Ingrid Wiese. 
Die „Osterpfad Vogtland“ wurde in das Thüringer Landesverzeichnis des Immateriellen Welterbes aufgenommen. Im Bild zu sehen sind (von links) Grit Reinhardt, Petra Birnbaum, Christel Bärenklau und Ingrid Wiese.  © Hanno Müller | Hanno Müller

Der Idee des „Osterpfades Vogtland“ haben sich mittlerweile elf Orte angeschlossen, zehn weitere stellten Anträge auf Aufnahme. Gepflegt werden Bräuche wie geschmückte Brunnen, Märkte oder Kunst am Ei. Rund um die Osterfeiertag ziehe die Initiative 40.000 bis 50.000 Besucher in die Region. Alles passe aufs Ei, auch Sütterlinschrift, so eine der Vertreterinnen bei der Preisverleihung im Haus Dacheröden.

Das „Büchsenmacher- und Graveurhandwerk in der Region Suhl/Zella-Mehlis“ wurde in das Thüringer Landesverzeichnis des Immateriellen Welterbes aufgenommen.  Im Bild zu sehen sind (von links) Jan Tuchinsky, Michael Erbert, Jens Ziegenhahn, Reinhard Jacob und Hendrik Frühauf.
Das „Büchsenmacher- und Graveurhandwerk in der Region Suhl/Zella-Mehlis“ wurde in das Thüringer Landesverzeichnis des Immateriellen Welterbes aufgenommen.  Im Bild zu sehen sind (von links) Jan Tuchinsky, Michael Erbert, Jens Ziegenhahn, Reinhard Jacob und Hendrik Frühauf. © Hanno Müller | Hanno Müller

Dass das Büchsenmacher- und Graveurhandwerk in der Region Suhl/Zella-Mehlis eine lange Tradition hat, ist allgemein bekannt. Waffen aus der Region sind weltweit gefragt. Die Fertigkeiten tatsächlich zu erhalten, haben sich beteiligte Jagdwaffenhersteller und Graveure auf die Fahnen geschrieben. Inzwischen gibt es wieder eine Berufsschule. Büchsenmacher werden dort seit 1992, Graveure seit 1996 ausgebildet. Beteiligt am Antrag sind neben dem Förderverein der Schule auch Jagdwaffenhersteller.

Die Herstellung des „Gläsernen humanen Kunstauges aus Lauscha“ wurde als besondere Kulturform in das Thüringer Landesverzeichnis des Immateriellen Welterbes aufgenommen.  Im Bild zu sehen sind (von links) Sabine Thalmeyer, Vorsitzende des Heimatgeschichtsvereins, Ute Müller-Uri, Jürgen Müller-Blech und Dr. Gerhard Greiner-Bär.
Die Herstellung des „Gläsernen humanen Kunstauges aus Lauscha“ wurde als besondere Kulturform in das Thüringer Landesverzeichnis des Immateriellen Welterbes aufgenommen.  Im Bild zu sehen sind (von links) Sabine Thalmeyer, Vorsitzende des Heimatgeschichtsvereins, Ute Müller-Uri, Jürgen Müller-Blech und Dr. Gerhard Greiner-Bär. © Hanno Müller | Hanno Müller

Mit dem Christbaumschmuck haben es die Lauschaer Glashersteller schon ins Landesverzeichnis geschafft. Nun folgt die Tradition der Herstellung gläserner humaner Kunstaugen. Realistische, handgefertigte Glasaugen für den medizinischen Gebrauch seien eine hohe Kunst. Vorgänger in Lauscha waren Glasaugen für Spieltiere und Puppen. Begründer der sogenannten Okularistik wurde der Lauschaer Glasbläser Ludwig Müller-Uri (1811-1888). Es sind nicht zuletzt seine Nachfahren, die die Tradition wachhalten.

Gleichzeitig mit der Aufnahme in die Landesliste gab die Staatskanzlei die Nominierung von vier Anträgen für die Bundesliste bekannt. Neben der „Dahlientradition im Mittleren Elstertal“ und „Deutschen Brettspielkultur“ beteilige sich der Freistaat mit dem „Töpfer- und Keramikerhandwerk in Deutschland“ und dem „Bau und Spiel der Waldzither in Thüringen und im Harz“ an der nationalen Erfassung des Immateriellen Kulturerbes. Grundlage für diese Auswahl bilde eine Empfehlung der eigenständigen Landesjury.